Die Erosive Keratitis (Hornhautentzündung mit Epithelablösung)

Autorin: Dr. med. vet. Sunayana Mitra , Dr. med. vet. Nina Müller


erosive Keratitis, typisch, der Farbstoff zieht unter die lose Hornhautschicht

Bei der erosiven Keratitis typisch: der Farbstoff zieht unter die lose Hornhautschicht

1. Die Erosive Keratitis

Synonym: refractory epithelial erosions, recurrent erosion syndrome, persistent corneal ulcer, superficial chronic corneal epithelial deffects (SCCEDs), Boxer ulcer (Boxerulkus), canine indolent ulcer etc.

Die erosive Keratitis ist eine Erkrankung der Hornhaut, bei der sich das oberflächliche Hornhautepithel von der nächsten Schicht stellenweise ablöst und eine nicht heilende Hornhautwunde zur Folge hat.

Die Anwendung von Augentropfen ist in diesem Zustand äußerst schmerzhaft, da sie die oberste Hornhautschicht abhebern. Augensalben werden deutlich besser toleriert.

 

2. Entstehung

Die Ursache der Erkrankung wird in einer ungenügenden Ausbildung von sog. Hemidesmosomen in der Basalmembran (basal membrane dystrophy) vermutet.

Die Hemidesmosomen sind kleine Zellauswüchse, die in der Grenzschicht zwischen Hornhautepithel und Hornhautstroma liegen. Sie sind für das Anheften der einzelnen Schichten aneinander verantwortlich.

Im zweiten Lebensabschnitt der betroffenen Tiere sind die Hemidesmosomen so weit degeneriert, dass sie ihre Kittfunktion nicht mehr ausüben können.

Daher wird das Hornhautepithel auf der darunter liegenden Schicht (Hornhautstroma) verschieblich, löst sich blasig ab und kann durch die Reibung des Lidschlages einreißen. Jeder weitere Lidschlag zieht das lose Hornhautepithel weiter ab, sodass eine Hornhautwunde (Hornhautdefekt) mit losen, teils sogar umgeschlagenen Hornhautepithelrändern entsteht.

Meist berichten die Besitzer, dass die Hornhautverletzung schon verheilt war und dann plötzlich wieder aufgetreten ist. Dies ist klassisch für die Erosive Keratitis. Die Hornhautwunde schließt sich nur bis auf einen winzigen Riss, der für das normale Auge kaum sichtbar ist. Aufgrund der fehlenden Anheftung am Untergrund reißt das Hornhautepithel wieder auf. Die Erosive Keratitis wird ohne Abtragen des losen Gewebes auch nach Monaten nicht abheilen!

 

3. Anzeichen

Die Tiere zeigen plötzliche und sehr starke Augenschmerzen:

  • Tränen
  • Lichtscheue
  • Zukneifen des betroffenen Auges
  • deutliche Rötung der Sklera (weiße Augenhaut)
  • Schwellung der Konjunktiven (Bindehäute)

Tiere mit großen Augen wie z.B. Boxer, französische Bulldogge, Mops, Perserkatze, haben weniger Schmerzrezeptoren in der Hornhautoberfläche. Aus diesem Grund zeigen sie oftmals keine oder weniger Schmerzen und die Erkrankung wird "schmerzloser Hornhautdefekt" (indolent ulcer) genannt. Allerdings setzt der fehlende Schmerz auch keinen oder zuwenig Wundheilungsimpuls.

Bleibt der Hornhautdefekt (Hornhautulkus) zu lange bestehen, können Gefäße in die Hornhaut zwischen die Hornhautschichten einwandern und den festen Kontakt zwischen den Schichten verhindern (siehe Foto). Im weiteren Verlauf wird der Hornhautdefekt von rosanem Narbengewebe überzogen ohne darunter abzuheilen.

Ein Hornhautdefekt über die gesamte Hornhaut heilt ohne Wundheilungsstörung innerhalb einer Woche ab! Ist dies nicht der Fall, muss nach der Ursache gesucht werden und der Störfaktor behoben werden. Seien Sie nicht zu geduldig, bevor sie einen Ophthalmologen aufsuchen.

 

 

4. Diagnose

Wir erkennen anhand der 10-fachen Vergrößerung durch die Spaltlampenuntersuchung meist die losen Epithelränder direkt. Ausserdem kann das abgehobene, eingerissene Hornhautepithel durch Eintropfen von Fluoreszein, einem diagnostischen orangenen Farbstoff, sichtbar gemacht werden.

Fehlt schon Hornhautepithel, stellt sich dieser Bereich in blauem Licht sattgrün dar, manchmal ist aber nur ein winziger Riss erkennbar.

Das Fluoreszein breitet sich unter dem losen Hornhautepithel aus. Anhand einer speziellen Lupenvergrößerung (Spaltlampe) können wir den ganzen Defekt, der weit unter die Ulkusränder gehen kann, als hellgrünen unscharf begrenzten Fleck auf der Hornhaut erkennen (siehe Foto).

 

 

5. Therapie

Die Heilung eines Hornhautepitheldefektes erfolgt durch Einwanderung und Vermehrung von Zellen, die vom Hornhautrand (Limbus) in Richtung Zentrum wachsen. Auf diese Weise entstehen eine neue Zellschicht und eine neue Basalmembran mit Hemidesmosomen.

Die losgelöste defekte Schicht muss unbedingt entfernt werden, damit dieser Mechanismus zur Heilung führt. Auch die abgelöste Haut einer Blase heilt nicht mehr am Untergrund an!

Der Heilungsprozess braucht die allerbesten organischen und stoffwechelbedingten Voraussetzungen. Er wird gestört durch viele Möglichkeiten wie

  • trockene Hornhaut ( KCS)
  • reizende Härchen aus dem Lidrand (Distichen)
  • fehlgewachsene Härchen (ektopische Cilien)
  • krankhafte Veränderungen der Hornhaut (Glaukom, Exophthalmus)
  • Innervierungsstörung der Hornhaut u.v.a.m.
  • Unverträglichkeiten von Augenpräparaten

Alle Störfelder müssen ausgeschlossen werden.

Die Behandlung der erosiven Keratitis fordert vom Tierbesitzer viel Geduld und Verständnis!

Der Patient muss sich mehrmals täglich mit verschiedenen Augentropfen oder -salben behandeln lassen. Für jeden Patienten wird ein Therapieplan erstellt, der seiner Erkrankung angepasst ist. Kein Augenpräparat darf zu einer Abwehrreaktion führen! Im Zweifelsfall muss das Präparat gewechselt werden, um Unverträglichkeiten zu vermeiden.

Wir entfernen das lose Hornhautepithel erst unter Lokalanästhesie (Augentropfen) am wachen Tier, und rauen den Untergrund auf. Selten muss das defekte Hornhautgewebe, je nach Grad der Erkrankung, in einer Kurznarkose unter einem Operationsmikroskop bis in das gesunde Gewebe hin abgetragen werden. In hartnäckigen Fällen wird (nur) bei Hunden anschließend die Hornhautoberfläche rasterförmig eingeritzt, um die Heilung zu mobilisieren.

Die Hornhautwunde wurde früher durch eine Nickhautschürze vor dem störenden Lidschlag geschützt, die drei Wochen belassen wurde. Nach Ziehen der Nickhautschürze war es durchaus möglich, dass sich das Hornhautepithel an der einen oder anderen Stelle nicht fest angeheftet hat. An diesen Stellen haben sich die kittenden Hemidesmosomen ungenügend nachgebildet (basal membrane dystrophy).

Oft muss man mehrmals solche losen Epithelstellen unter Lokalanästhesie abtragen. Daher vereinbaren wir i.d.R. wöchentliche Kontrollen. Es kann einige Wochen dauern bis die erosive Keratitis endgültig verheilt ist (refractory erosive keratitis), aber nur so kann sie effektiv verheilen.

Inzwischen wird der dreiwöchige Schutzverband durch die Anwendung von weichen Kontaktlinsen ersetzt. Sie können über viele Wochen im Auge verbleiben und lassen eine angepasste Therapie unter Sichtkontrolle zu. Außerdem kann der Hund oder die Katze auf diesem Auge weiterhin sehen und zeigt in kürzester Zeit weniger Schmerzen. Selten fällt die Kontaktlinse von selbst heraus. Allerdings ist die schützende und dadurch schmerzlindernde Funktion der Kontaktlinse in den ersten Stunden oder Tagen nach dem Abtragen oftmals ausreichend.

Auf Grund der angeborenen Veranlagung, der ungenügend ausgebildeten Basalmembran und äußeren Einflüssen, kann das Partnerauge die gleiche Erkrankung meist ein Jahr später bekommen.

Deshalb empfehlen wir auch die gesunden Augen vor schädlichen Umwelteinflüssen wie Wind und Wetter, Staub, Rauch, ätzende Dämpfe usw. zu schützen.

 

chronischer Hornhautdefekt, Narbengewebe zieht in die Hornhautschichten

zu lange gewartet: ein chronischer Hornhautdefekt, Narbengewebe zieht in die Hornhautschichten